Lern- und Erinnerungsort „Notaufnahmelager Gießen“

Ende September 2025 besuchten Mitglieder und Freunde der Nachbarschaftshilfe Butzbach den Lern- und Erinnerungsort Notaufnahmelager Gießen.
Während einer Führung durch eine sehr anspruchsvolle und lehrreiche Dauerausstellung erfuhren die Teilnehmer Grundlagen über die Geschichte und die zukünftige Verwendung des Gebäudekomplexes nahe des Gießener Bahnhofs.

Auf der Seite „notaufnahmelager-giessen.de“ findet man u.a. einen kurzen Überblick über die Geschichte des Notaufnahmelagers:
„Die ab Februar 1946 aus dem Sudetenland und den ehemaligen Ostgebieten des Deutschen Reiches ausgewiesenen Deutschen in Gießen eintreffenden Personen wurden zunächst dezentral in mehreren über die Stadt verteilte provisorische Unterkünfte untergebracht.
Ab 1947 tauchen zunehmend Menschen aus der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) auf. Die Stadt lässt daraufhin am Bahnhof ein Barackenlager für sogenannte „illegale Grenzgänger“ errichten, in der die Einreisenden überprüft und bei Bedarf zurückgeschickt wurden.
Mit der Gründung der Bundesrepublik im Mai 1949 reißt der Zustrom nicht ab. Nur wer eine akute „Gefahr für Leib und Leben“ in der SBZ glaubhaft machen kann, soll eine Aufenthaltserlaubnis für das Bundesgebiet erhalten. Das Gießener Barackenlager übernimmt die Rolle eines Bundesnotaufnahmelagers. Auch amerikanische und bundesdeutsche Geheimdienste sind vor Ort. Die Geflüchteten dienen ihnen auch als unverzichtbare Informationsquelle zur aktuellen Lage in der DDR.
In den 50er- und 60er-Jahren werden die Baracken durch mehrstöckige Steingebäude ersetzt. Eine kleine Flüchtlingsstadt entsteht – samt Großküche, Kultursaal und Kindergarten. Gießen richtet sich ein, dauerhaft ein Zentrum der Flüchtlingsversorgung zu sein.
Mit der Abriegelung West-Berlins im August 1961 empfängt Gießen mehr als 27.000 von der Bundesrepublik freigekaufte politische Häftlinge. Gießen wird zum ‚Tor zur Freiheit‘; für die politischen DDR-Häftlinge ist die Stadt ein Sehnsuchtsort.

Im Zuge der Friedlichen Revolution 1989/90 wird die Zentrale Aufnahmestelle – wie das Notaufnahmelager mittlerweile offiziell heißt – ein letztes Mal gefordert. Flüchtlinge und Übersiedler aus der DDR treffen über Ungarn oder Prag ein, nach der Öffnung der Berliner Mauer dann auch in kilometerlangen Trabi-Konvois – zeitweise stehen bis zu 2.000 Menschen täglich an der Pforte.

Zum 1. Juli 1990 wird das Notaufnahmeverfahren eingestellt. Der Standort am Meisenbornweg wird zur Anlaufstelle für Bürgerkriegsflüchtlinge, Spätaussiedler und Asylsuchende. Aus dem ehemaligen Notaufnahmelager entsteht die „Hessische Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge“ (HEAE) in Gießen.“
Der Erstaufnahmestandort im Gießener Meisenbornweg wurde zum 30. September 2018 geschlossen. Die Erstaufnahmeeinrichtung befindet sich nun in Gießen an der Rödgener Straße im ehemaligen US-Depot Gießen.
Auf dem Gelände des ehemaligen Notaufnahmelagers werden die Gebäude umgewidmet. Neben dem Lern- und Erinnerungsort entstehen u.a. Verwaltungsräume und eine Jugendherberge.
Das Interesse während der Führung war sehr groß und nachdem noch einige Fragen diskutiert und beantwortet wurden, genoss die Gruppe der Nachbarschaftshilfe nach einem Fußmarsch dem Lahnufer entlang bei Sonnenschein auf der Terrasse eines Cafés an der Lahn Kaffee und Kuchen, bevor man mit der Bahn zurück gen Butzbach reiste.

Weitere Fotos zur Exkursion finden Sie hier.